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Die geheimnisvolle Regina

  • Autorenbild: Thomas Wiederkehr
    Thomas Wiederkehr
  • 7. Juni
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 8. Juni

La Tuscia – das archaische, raue Stück Land im nördlichen Latium zwischen der Maremma und den sieben Hügeln Roms ist nicht nur landschaftlich ein Zwischenraum. Auch kulturell liegt sie zwischen Mythos und Geschichte, zwischen etruskischem Flüstern und römischen Kommandos, zwischen Göttern, die gingen, und denen, die blieben.


In diesem Zwischenreich begegnet man auch Regina – einer Göttin, einer Königin – bis heute umgeben von einem grossen Geheimnis.


Die Frauen der Etrusker

Die Etrusker, das grosse Fragezeichen der italienischen Antike, hatten nicht nur eine reiche Hochkultur innerhalb eines losen Städtebundes und eine monumentale Architektur für das Leben nach dem Tod. Sie hinterliessen vor allem eines: Verwirrung bei den Griechen. Denn die Frauen in Etrurien verhielten sich nicht, wie es sich im antiken Patriarchat gehörte. Sie assen nicht in getrennten Räumen, sondern lagen bei Festgelagen gleichberechtigt neben ihren Männern – ein Anblick, der griechischen Autoren wie Theopompus den Atem raubte. Noch schlimmer: Sie tranken Wein. Und redeten mit.

Tomba degli Scudi di Tarquinia
Tomba degli Scudi di Tarquinia

Dass viele etruskische Inschriften nicht nur Väter, sondern auch Mütter namentlich erwähnen, und dass Matronyme Bestandteil offizieller Namensgebungen waren, weist auf eine Gesellschaft hin, in der Frauen mehr waren als Beiwerk. Vieles deutet auf eine matrilineare Struktur hin, zumindest in den aristokratischen Schichten.


In den Gräbern der Frauen fand man Waffen, Streitwagen, prunkvolle Spindelzepter – Symbole von Macht, nicht von Häuslichkeit. Frauen wie Tanaquilla, die politische Karriere ihres Mannes steuernd, oder Ramatha Spesias, die posthum als Patronin eines politischen Übergangs aufscheint, stehen für ein Frauenbild, das in der antiken Welt alles andere als selbstverständlich war.


Auf den Spuren Reginas

Wer oder was also war Regina? Der Name erscheint gleich an mehreren Orten: In Tuscania liegt die Tomba della Regina, ein gewaltiges Felsgrab, das ihre Würde in Stein zu meisseln scheint. In Tarquinia thront die Ara della Regina, der grösste Tempelbau der etruskischen Welt. Und doch weiss niemand so recht, welcher Regina er gewidmet war. Eine Göttin? Eine Königin? Eine Herrin des Übergangs?

Ara della Regina, Tarquinia
Ara della Regina, Tarquinia

Die Archäologie schweigt

Vielleicht ist Regina kein Eigenname, sondern ein Titel. Vielleicht war sie die letzte Grosse, eine Kultfigur des weiblichen Prinzips, bevor Rom kam – mit seinen Männerbünden, seinen Mars-Mythen, seiner Disziplin. Vielleicht war Regina das, was verschwand, als das Patriarchat endgültig Besitz vom Mittelmeer nahm.

Die geflügelten Pferde

Im Archäologischen Museum von Tarquinia begegnet man den wohl schönsten Zeugen Reginas: den Flügelpferden der Ara della Regina. Zwei monumentale Pferde aus Terrakotta, aufgerichtet, mächtig, schwebend. Sie ziehen keinen Wagen, sie tragen keinen Reiter. Sie stehen nicht für Bewegung, sondern für Fortschritt und Aufbruch.


Man weiss bis heute nicht, welchem Mythos sie entstammen. Doch wer sie betrachtet, spürt: Sie sind Begleiter eines Übergangs. Vielleicht trugen sie die Seelen der Toten, vielleicht die Gedanken der Lebenden, vielleicht auch Regina selbst – fort aus dieser Welt, in eine andere.


Sie sind schweigende Botschafter einer Macht, die nicht mehr erklärt, sondern derer nur noch erinnert wird.


Regina – die Verborgene

Vielleicht liegt ihr Tempel nicht in Tarquinia, nicht in Tuscania, sondern unter unseren Füssen. Vielleicht war Regina nie eine Figur, sondern eine Idee. Vielleicht war sie das letzte Flackern einer alten Ordnung – eine Ordnung, in der Macht geteilt, Übergänge geachtet und das Weibliche verehrt wurde.


Und vielleicht wird man ihren Namen nie in Stein finden. Sondern nur im Wind, der durch die Steineichen bei den etruskischen Nekropolen streicht. In einer leisen Unruhe in alten Gräbern. Und in jenen Momenten, in denen man nicht weiss, ob man noch ein Fremder ist – oder schon Teil einer Kultur, die man nie ganz verstehen wird.


Wer Regina begegnen will, muss bereit sein, zu hören, was nicht gesagt wird. Und versuchen das Unausgesprochene zu verstehen.

Tomba della Regina, Tuscania
Tomba della Regina, Tuscania

 
 
 

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