Die Sage über Amalasuntha
- Thomas Wiederkehr
- 3. Sept. 2023
- 1 Min. Lesezeit

Wer am Ufer des Lago di Bolsena über den See blickt, dort, wo die Zypressen ihre Schatten auf das dunkle Wasser werfen und die Zikaden das Lied des Spätsommers singen, spürt die Anwesenheit von etwas Uraltem und Unausgesprochenem: Der Vulkansee ist die Ruhestätte von Amalasuntha, der einst mächtigen Königin der Ostgoten, deren Intelligenz und Klugheit bis heute überliefert ist.
Sie war eine Frau mit grossen Plänen, inspiriert durch das Erbe der Römer und der Goten, und war dennoch zwischen beiden Welten gefangen. Ihre Vision war die Versöhnung der Ostgoten mit den Römern und ein Reich voller Frieden und Prosperität. Mit dem vorzeitigen Tod ihres Sohnes begann ihr Stern aber zu sinken, und die Dunkelheit des Verrats und Intrigen zog sich wie ein Schleier über ihr Leben.
Von ihrem eigenen Cousin betrogen, wurde sie auf die Insel Martana verbannt, eine kleine Insel im Herzen des Lago di Bolsena. Dort fand sie ihren schicksalhaften Tod. An Nächten des Neumonds, so erzählen es die Fischer, verlässt Amalasuntha ihr tiefes Grab und wandelt über den See.
Wer an solchen Nächten mit wachen Sinnen am Ufer des Lago di Bolsena steht, kann ein fernes Leuchten sehen, ein zartes Schimmern, das die Dunkelheit durchbricht. Es ist Amalasunthas immerwährende Suche nach Gerechtigkeit und Klärung der Umstände, die zu ihrer Verbannung führten. Oder findet sie in den Tiefen des Sees einen Frieden, der ihr im Leben verwehrt wurde?
So bleibt der Lago di Bolsena ein Ort von bezaubernden Ambivalenz, an dem Geschichte und Mythos in einer endlosen Umarmung gefangen sind. Und so wird die Königin ohne Krone in der ewigen Bewegung der Wellen und im Herzen des Sees weiterleben.
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